
Die „Karenzzeit“ bei den Kosten der Unterkunft
Dieser Beitrag unterliegt noch laufender Aktualisierung, weil insbesondere im Bereich der Heizkosten noch einige Fragen offen sind, bei denen ich nach der praktischen Umsetzungslösung suche. Diese Version spiegelt meinen Informationsstand vom 6.1.23 wieder. Gern später nochmal reinschauen…
Auf meine Anfrage an den Senat zu für mich noch offenen Umsetzungsfragen, die ich Anfang Januar gestellt hatte, liegt mir bisher eine Antwort vom 24.1. vor: “ Sehr geehrter Herr Wallbaum, vielen Dank für Ihre Anfrage vom 09.01.2023. Aufgrund der Vielzahl an eingehenden Anfragen bitte ich Sie für die Bearbeitung Ihrer sehr detaillierten und vielschichtigen Fragen um Geduld. Seien Sie sich sicher, dass wir nach fachlicher und rechtlicher Prüfung der vorgetragenen Fallbeispiele unaufgefordert auf Sie zukommen werden. Mit freundlichen Grüßen“ Ich werde die Antworten des Senats dann hier veröffentlichen.
Hier haben wir ein Thema, bei dem zum Ende der Beschlussphase die Ampelregierung noch einiges zurücknehmen musste (auf jeden Fall zurückgenommen hat), was vorher für Leistungsbeziehende günstiger geplant war. Da die Beleuchtung dieses Themas etwas umfangreicher wird, hier in aller Kürze und Ungenauigkeit die Eckpunkte:
- Für Bestandswohnungen wird zwölf Monate die volle Miete anerkannt.
- Danach Kostensenkungsverfahren und ggf. Absenkung auf die angemessene Miete.
- Keine Karenzzeit für Heizkosten, Prüfung auf Angemessenheit erfolgt sofort bei Beginn des Leistungsbezugs (bzw. Anfang 2023 bei Bestandswohungen).
- Keine Karenzzeit, bei schon bestehender Absenkung aufgrund eines früheren Kostensenkungsverfahrens.
- Zeiten des Bezugs vor 2023 spielen keine Rolle, alle starten bei Null, frühestes Ende der Karenzzeit ist also Ende 2023.
- Bei Unterbrechung des Leistungsbezugs wird die Karenzzeit um jeden vollen Monat ohne Leistungsbezug nach hinten verlängert.
- Nach drei Jahren ohne Leistungsbezug (inkl. SGB XII) startet eine neue Karenzzeit.
- Sonderregelungen bei Umzügen innerhalb und nach der Karenzzeit.
- keine Karenzzeit bei der Übernahme von Instandhaltungskosten für eine selbst bewohnte Immobilie.
- Sonderkarenzzeit bei Tod eines Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft.
Ganz allgemein ist es das gute Verständnis der Gesetzgeberin, dass in einer Situation, in der eine BürgerIn erstmals auf Sozialleistungen angewiesen ist, nicht gleich der Griff an die Substanz, also ans Eingemachte, das Ersparte oder die gerade bewohnte Wohnung notwendig werden soll. Zum Thema Vermögen kommen wir noch in einem späteren Post, hier soll es um die Sicherung der Unterkunft gehen, in der man beim Eintritt in die Welt des Bürgergelds schon wohnt. Die sogenannte Bestandswohnung.
Vorgeschichte
In Berlin (lokale Regelung) war es bei Einführung von Hartz IV so, dass erstmal ein Jahr gar nicht darauf geschaut wurde, wie hoch die Miete war, danach kam eine Prüfung. Hat die ergeben, dass die Miete unangemessen hoch ist, wurde ein Kostensenkungsverfahren eingeleitet. Kostensenkungsverfahren heißt, dass man auf die zu hohe Miete aufmerksam gemacht wird, realistische Vorschläge zum Beheben der Situation bekommt (Suchen Sie sich eine UntermieterIn, sparen Sie beim Heizen oder ziehen Sie in eine billigere Wohnung…) und auch etwas unrealistischere (Reden Sie doch mal mit Ihrer VermieterIn). Dann bekam man in einer Schonfrist von meist 6 Monaten, manchmal auch einem Jahr, weiterhin die tatsächliche, also zu hohe, Miete, bevor bei den Bedarfsberechnungen nur noch die angemessene Miete (aus einer Tabelle der AV Wohnen) berücksichtigt wurde. Und wenn wir hier „Miete“ sagen, dann war das die Bruttowarmmiete, also Grundmiete plus Nebenkosten plus Heikkosten.
Aus den reicheren Bundesländern des Republiksüdens wurde dann bemängelt, dass der Berliner Senat so lasch mit seinen Armen umgeht, weshalb Berlin irgendwann einknickte und zulassen musste, dass die Prüfung der Angemessenheit sofort mit dem Eintritt in den Leistungsbezug erfolgen sollte. Am Kostensenkungsverfahren änderte das nichts.
Und nun?
Interessanterweise geht das Bürgergeld nun einen Schritt zurück zur ursprünglichen Berliner Linie, denn es gibt wieder eine einjährige Phase (Karenzzeit), in der erstmal nicht geguckt wird, ob die Miete zu teuer ist. Dabei wird die tatsächliche Miete bei NeukundInnen erstmal übernommen, geprüft wird nach einem Jahr. Geplant war hier eine Frist von zwei Jahren. Genau wie beim Vermögen. Aber genau wie beim Vermögen wurde die im letzten Basar-Shootout zwischen Scholz und Merz halbiert.
Heizkosten separat
Eine zweite Folge dieses seltsamen Last-Minute-Deals ist das Heraustrennen der Heizkosten aus der Karenzzeit-Lösung. An dieser Stelle würde ich gerne ein einfach zu beschreibendes Verfahren beschreiben. Das ist mir allerdings nicht möglich. Denn bei den Heizkosten vollzieht sich nicht einfach eine Erhöhung oder Absenkung von Heizpreisen, die dann angemessen oder unangemessen sind. Nein, ein Blick in die neueste Fassung der Berliner AV Wohnen lehrt uns, dass ab sofort die Frage im Raum steht, ob mein Heizverhalten als angemessen gewertet wird. Die Obergrenzen nennen also keine Eurowerte mehr, sondern Kilowattstunden. Getrennt in einerseits fossile Energieträger und andererseits Wärmepumpen gibt es einen Höchstverbrauchswert pro Quadratmeter. Als Obergrenze für den Gesamtverbrauch werden dann die üblichen fiktiven Wohnungsgrößen herangezogen (50 qm für eine Person, 65 qm für zwei usw.). Bei dezentraler Warmwasserbereitung (platt gesagt bei Elektroboiler) wird dann ein ebenfalls festgelegter Kilowattstundenanteil von der Obergrenze abgezogen. Als Ausgleich gibt es wie bisher den Mehrbedarf für dezentral erhitztes Wasser.
Dass die Heizkosten anhand des Verbrauchs auf Angemessenheit geprüft werden, ist an sich keine schlechte Idee. Unter anderem führt das dazu, dass ich bei steigenden Energiepreisen keine Befürchtungen haben muss, zu teuer zu heizen, solange mein Verbrauch konstant angemessen bleibt. (Für die Frage, wie muggelig es mit dem Grenzwert tatsächlich sein wird, fehlt mir die physikalische Vorstellungskraft, aber nehmen wir mal an, der Kriegspulli hilft uns weiterhin…) Ziemlich kompliziert und auch zeitlich anspruchsvoll dürfte sich die Frage stellen, wie Unangemessenheit nun festgestellt werden soll. In der AV Wohnen ist davon die Rede, dass vor einer Kostensenkungsaufforderung die Unangemessenheit des Heizverhaltens festgestellt worden sein muss. So rein verfahrenstechnisch käme das für mich erst dann in Frage, wenn das Jobcenter mir nachweisen kann, dass ich aktuell zu viel heize. Ein Verweis auf zu hohen Verbrauch in einem früheren Abrechnungszeitraum dürfte da nicht tauglich sein, weil ich ja mittlerweile sparsamer geworden sein könnte. Also müsste abgewartet werden, bis die nächste Heizkostenabrechnung kommt, aus der ein aktuell zu hoher Verbrauch ableitbar wäre. Danach müsste mich das Jobcenter auffordern, mein Heizverhalten zu ändern. Ob ich das wirklich getan habe, lässt sich nun faktisch und belegbar erst mit der wiederum nächsten Heizkostenabrechnung beweisen. Nach einem trotz Warnung nicht abgesenkten Heizenergieverbrauch soll dann auf die Angemessenheit abgesenkt werden können. Angemessen wäre demnach übrigens der aktuelle Verbrauchspreis für mein angemessenes Kilowattstundenkontingent (in der Karenzzeit bezogen auf die tatsächliche Wohnungsgröße, nach der Karenzzeit bezogen auf die fiktiven Flächen [s.o.]).
Wenn ich mich da nicht verrechne, würde das bedeuten, dass ich erstmal ziemlich lange die tatsächlichen Heizkosten anerkannt bekomme. Die Karenzzeit bei der Bruttokaltmiete gilt dann zwar nicht für die Heizkosten, aber wenn das Verfahren sich so etablieren sollte, wie ich es gerade deute, dann würde die Karenzzeit hier eher überschritten, bis mir was passiert. Bevor ich mich dazu aber abschließend äußere, würde ich mir das gern mal eine Weile in der Praxis angucken. Auch hier gilt selbst bei gutem Willen der Gesetzgeberin, dass es vielleicht sinnvoller, aber nicht einfacher wird.
Die Aufsplittung von KdU und Heizkosten hat für die Jobcenter noch einen anderen misslichen Aspekt. Denn das Sozialrecht kann sich ja dehnen und strecken wie es will, dennoch herrscht in der Bundesrepublik Vertragsfreiheit. Und die gilt auch für Mietverträge. Wenn ich also einen Pauschalmietvertrag habe, in dem die Heizkosten irgendwie enthalten, aber nicht konkret beziffert sind, dann war es das mit Trennung. Es fehlt schlicht die konkrete Zahlengrundlage, um die Heizkosten auf Angemessenheit zu prüfen.
Neuerdings würde es sogar nicht mal für eine Angemessenheitsprüfung ausreichen, wenn ein konkreter Preis für Heizkosten benannt würde. Denn der Preis ist nun sozusagen egal. Ein Mietvertrag, in dem es nicht mittels Heizkostenabrechnung zu einer konkreten Benennung des Heizenergieverbrauchs über Kilowattstunden kommt, bietet hier keine Angriffsfläche. Zusammen mit der Karenzzeit bei den übrigen Kosten der Unterkunft müsste das logischerweise bedeuten, dass eine Absenkung der bewilligten Gesamtmiete bei Pauschalmietverträgen zumindest innerhalb der Karenzzeit nicht möglich wäre. Gleiches gilt für Mietverträge, die zwar nicht komplett pauschal sind, bei denen aber die Heizkosten als Teil der Nebenkosten versickern, ohne benannt zu werden.
Die Schwierigkeit einer Kostensenkungsaufforderung würde bei solchen Mietverträgen meines Erachtens auch nach der Karenzzeit bestehen, da die Einzelposten der Miete weiterhin nicht voneinander abgrenzbar sind und eine Absenkung der Gesamtmiete auf die Gesamtangemessenheit auch nicht so einfach ist. Hatte man hierfür bislang einfach zwei konkrete Preise (Bruttokaltmiete und Heizkostenobergrenze, beides in Euro), so gibt es jetzt zwar noch die Obergrenze in Euro für die Bruttokaltmiete, aber auf welchen Eurobetrag soll man die Heizkosten absenken, wenn gar keine Heizkostenabrechnung existiert, aus der ein angemessener Anteil zum jeweils tatsächlichen Kilowattstundenpreis hervorgeht (abhängig von der AnbieterIn, die von der VermieterIn ausgewählt wurde)? Da tun sich mir erhebliche Rätsel auf. Mein Rat wäre in solchen Fällen immer, jede Kostensenkungsaufforderung anzuzweifeln.
All diese Fälle sind auch heute schon nicht so prickelnd für die Jobcenter, weshalb sie immer wieder den Anschein zu erwecken versuchen, man sei als JobcenterkundIn verpflichtet, die VermieterIn aufzufordern, die Heizkosten separat aufzuführen. Das war aber immer Unsinn und bleibt auch Unsinn. Das Jobcenter muss die bestehenden Mietverträge hinnehmen und zur Not auf Absenkungsbegehren verzichten, wenn das Zahlenwerk fehlt.
Konkret kann das bedeuten, dass ich vor der Antragstellung beim Jobcenter mal gucken sollte, ob ich meinen Mietvertrag mit Aufschlüsselung und zu hohen Heizkosten (meint hier also jetzt immer: zu hohem Verbrauch) nicht nochmal umwandle und mir (im Falle eines Untermietverhältnisses oder einer WG ist das oft unbürokratisch möglich) stattdessen einen neuen Untermietvertrag mit Pauschalmiete geben lasse. Wenn ich das mietrechtlich sauber mache, kann daran nichts kritisiert werden.
Ob es sich lohnt, Zweifel anzumelden, ob eine bereits früher vollzogene Absenkung der Heizkosten mit den neuen Regeln zum Jahr 2023 unwirksam wird, weil bei der damaligen Absenkung schließlich andere Kriterien wirkten (kein Bezug zum Kilowattstundenverbrauch, womöglich angemessenes Verbrauchsverhalten bei lediglich zu teurem Anbieter), vermag ich nicht einzuschätzen. Mindestens im Fall der schwierigen Pauschalmieten wäre das ein interessantes Feld. Und angesichts des Umstands, dass ich die Absenkungen von früher schließlich mitnehme, auch ein berechtigtes Ansinnen.
Wann und wie lange ist überhaupt Karenzzeit?
Kommen wir aber zurück zur eigentlichen Karenzzeit. Für alle, die schon vor dem 1. Januar Alg II bezogen haben, beginnt sie am 1. Januar, für alle, die später einen Neuantrag stellen, mit dem dann beginnenden Leistungsbezug.
Ich war mir an diesem Punkt nicht ganz sicher, ob „Altfälle“, die noch einen Bescheid aus dem Jahr 2022 haben, der ins Jahr 2023 „hineinragt“, eine Sonderposition haben würden. Es wäre ja möglich gewesen zu beschließen, dass Altfälle weiter komplett nach dem Recht gelten, nach dem sie bewilligt wurden und die Karenzzeit dann erst mit dem ersten komplett neuen Bescheid ab 2023 beginnt. Die Regionaldirektion Berlin-Brandenburg der Arbeitsagentur hat mir allerdings bestätigt, dass der Beginn der Karenzzeit „mit dem ersten Bezug von Bürgergeld“ beginnt. Da es ab Januar nichts anderes mehr gibt, fängt die Karenzzeit für alle Bestandsfälle am 1. Januar an. Die Uhr läuft also bereits. Tatsächlich Kostensenkungsverfahren sind bei den Heizkosten schon jetzt möglich, praktisch wird sich das aber wohl hinziehen. Ist hier eher gut, denn die Absenkung der bewilligten Heizkosten darf in einem Kostensenkungsverfahren ja immer erst ab der Zukunft erfolgen.
Die Karenzzeit dauert 12 Monate. Wenn ich innerhalb der ersten 12 Monate meinen Leistungsbezug unterbreche, verlängert sie sich um die Zahl der ganzen Monate, die ich draußen war. Nach einer Pause von drei Jahren ohne Bezug beginnt eine komplett neue Karenzzeit.
Beispiel:
Beginn der Karenzzeit am 1.1.23. Normales Ende wäre der 31.12.23. Kein Bürgergeld (z.B. wegen Job) von November 23 bis März 24 (5 Monate). Die Karenzzeit läuft dann weiter ab April 24 und endet am 31. August 24 (5 Monate später).
Anderes Beispiel:
Beginn der Karenzzeit am 1.1.23. Normales Ende wäre der 31.12.23. Kein Bürgergeld (z.B. wegen Job) von November 23 bis September 26 (2 Jahre und 11 Monate). Jetzt habe ich bei erneutem Leistungsbezug ab Oktober 26 nur noch 2 Monate Karenzzeit (Oktober und November 26), weil die drei Jahre noch nicht um sind und ich aus der ersten Karenzzeit nur noch zwei Monate übrig habe (damals November und Dezember).
Hätte ich hier mit dem Wiedereinstieg ins Bürgergeld noch einen Monat gewartet, wären die drei Jahre Pause erfüllt und ich hätte bei Neubezug Bürgergeld ab November 26 nun wieder ein ganzes Jahr Karenzzeit. Bei einer hohen Miete könnte sich in diesem Beispiel also der Gedanke lohnen, lieber einen Monat später zum Jobcenter zu gehen.
Interessant wird es für solche KundInnen, die bereits vor der Coronazeit eine zu hohe Miete hatten und deshalb auch während der letzten Jahre nicht in den Genuss der Coronaregel kam, die eine Absenkung der Miete während der Pest verhinderte. Wer schon abgesenkt war, blieb auch abgesenkt. Und wer am 1. Januar 23 eh schon nicht die volle, sondern nur die angemessene Miete bekam, dem nützt auch keine Karenzzeit. Dieser Personenkreis kann lediglich irgendwann die Dreijahreskarte ziehen und nach einer Bezugspause auf eine dann neue Karenzzeit pochen. Hier müssen auch bezugslose Zeiten angerechnet werden, die vor der Einführung des Bürgergelds lagen. Denn in den Übergangsregelungen heißt es ja, dass „Zeiten des Bezugs“ vor 2023 nicht zählen. Zeiten des Nicht-Bezugs sind hier nicht eingeschlossen.
Beispiel:
Ich hatte einst eine zu hohe Miete und bekam vom Jobcenter nur die angemessene Miete als Bedarf anerkannt. Mit einst meinen wir hier zum Beispiel: letzter Leistungsbezug mit abgesenkter Miete endete am 30. April 2020. Kurz rechnen… Am 1. Januar 23 bin ich dann schon 2 Jahre und 8 Monate raus. Fehlen 4 Monate für die drei Jahre. Wenn ich also 2023 erst im Mai einen Antrag stelle, dann habe ich die drei Jahre voll und bekomme eine niegelnagelneue Karenzzeit. Stelle ich aber den Antrag im April, dann fehlt mir ein Monat und ich bleibe auf meiner Absenkung sitzen.
So wäre es bei wörtlicher Umsetzung des Bürgergeldgesetzes. Allerdings kommt hier dann ein anderer Aspekt zum Tragen. Schon immer war es ein Streitfall, wie lange eine Absenkung der bewilligten KdU gilt, ob sie also ein Verfallsdatum hat oder Ewigkeitswert. Diverse Gerichtsurteile haben das zum Thema und kommen leider nicht zu einer klaren Meinung. Der Tenor geht aber dahin, dass „bei einer Unterbrechung des SGB-II-Leistungsbezugs für nennenswerte Zeiträume nach vorheriger wirksamer Kostensenkungsaufforderung und bei erneuter Antragstellung anhand der Umstände des Einzelfalls zu prüfen [sei], ob eine neue Frist zur Senkung der KdU zu laufen beginnt“.
Neue Frist hieße dann logischerweise volle Mietanerkennung und auch neue Karenzzeit. Aber der Teufel steckt hier unschwer erkennbar in der Formulierung der „Umstände des Einzelfalls“. Hierzu gehören „die Dauer der Unterbrechung des Leistungsbezugs, eine etwaige Befristung der den Leistungsbezug unterbrechenden Beschäftigung, die Vorhersehbarkeit einer erneuten Hilfebedürftigkeit, der Zeitpunkt der Kenntnis von der erneut drohenden Hilfebedürftigkeit sowie das rechtzeitige Bemühen um Kostensenkungsmaßnahmen“. Kurz gesagt: Ein befristetes Arbeitsverhältnis ist oft untauglich, um einen Neustart bei der Prüfung der KdU zu „erzwingen“. Weil man ja von vornherein wusste, dass es nur befristet war. Und ein freiwilliger Ausstieg aus dem Leistungsbezug ohne entsprechendes Einkommen wäre erst recht kein probates Mittel.
Trotz dieser eher ungünstigen Ausgangslage, kann man zumindest aus Sicht einiger ExpertInnen bereits nach 6 Monaten Leistungspause eine Prüfung der Rücknahme der Absenkung probieren. Das dürfte allerdings ein interessantes Verfahren werden, weil damit meines Erachtens prinzipiell die ganze Dreijahresregelung im Bürgergeld kippen könnte. Ich würde mich also bedeckt halten mit einer Prognose der Erfolgsaussichten, aber man weiß ja nie. Vielleicht ist die Dreijahressache von vornherein ungesetzlich…
Instandhaltung bei Wohneigentum
Keine Karenzzeit gibt es bei der Regelung zur Übernahme von Instandhaltungskosten bei selbst bewohnten Immobilien. Bin ich EigentümerIn meiner kleinen Maisonette im Grunewald, dann kann ja mal was kaputt gehen. Während Corona gab es hier theoretisch keine Obergrenze. Auch eine Instandhaltung mit extrem hohen Kosten wäre vom Jobcenter zu tragen gewesen. Jetzt gilt wieder, was vor Corona galt.
Es wird eine Rechnung für jetzt plus 11 Monate, also für ein Jahr gemacht. In dem Jahr zahle ich als EigentümerIn eine Summe X als „Hausgeld“ (ich nehme hier der Einfachheit halber das Beispiel einer Eigentumswohnung mit Hausverwaltung). Hausgeld mal 12 sind meine Jahreskosten bei der Bruttokaltmiete (ohne Heizung). Den Puffer zwischen dieser Jahresmiete und der Angemessenheitsobergrenze kann ich ausschöpfen, um davon instandzusetzen.
Beispiel:
Monatliches Hausgeld (tatsächlicher Betrag) ist 350 €, Angemessenheitsobergrenze für meine BG ist monatlich 800 €. Dann habe ich jeden Monat 450 € nicht genutzt. Mal 12 macht 5400 €. Reparaturen bis 5400 € pro Jahr werden also übernommen. Dafür muss man übrigens nicht das ganze Jahr Leistungen beziehen. Es reicht im Extremfall, in dem Monat Leistungen zu beantragen, in dem die Kosten anfallen. Es wird dann rein rechnerisch wie oben beschrieben vorgegangen. Im Monat, in dem die Kosten anfallen, wäre die Bedarfsberechnung so, dass die KdU sehr hoch wären (laufendes Hausgeld plus bis zu in unserem Beispiel 5400 € Reparaturkosten), sodass dadurch Hilfebedürftigkeit womöglich erst entsteht.
Umzug außerhalb der Karenzzeit
Einfach ist es, wenn ein Umzug nicht in der Karenzzeit anfällt, denn dann dürfte sich die Zukunft nicht von der Vergangenheit unterscheiden. Ein Umzug sollte idealerweise immer „notwendig“ sein (Vertrag läuft aus, ich wurde gekündigt, ich habe mich getrennt, ich bin gekündigt worden, meine Miete war unangemessen teuer etc.). Dann gilt bei der Anmietung einer neuen Wohnung, dass die Miete bis zur Angemessenheitsgrenze anerkannt wird. Darüber geht nicht.
Ist der Umzug nicht notwendig, dann bekomme ich maximal die alte Miete. Wenn die alte Miete über der Angemessenheitsgrenze lag, war der Umzug logischerweise notwendig und es gibt jetzt maximal die Angemessenheitsobergrenze. Die Sache mit der „alten Miete“ ist allerdings nicht in Stein gemeißelt. Denn wenn ich mindestens einen Monat wegen nachweislich genug Einkommen aus dem Bezug ausscheide, dann beginnt hier ein neues Spiel. Es muss aber wirklich Einkommen da sein. Einfach abmelden hilft auch hier nicht. Die hier sehr kurze Frist des einen Monats bezieht sich nur auf den Fall, dass ich im Lichte eines neuen Einkommens eine teurere Wohung beziehe, weil ich denke, dass nun alles schön wird, ich die neue Einkommensquelle aber dann wieder verliere. Zudem läge der Wohnungswechsel formal außerhalb des Bezugszeitraums. Insofern steht sie nicht im Widerspruch zur weiter oben erwähnten Sechsmonatsfrist.
All das gilt bis jetzt dann, wenn ich „innerhalb eines Wohnungsmarkts“ umziehe, also zum Beispiel innerhalb Berlins. Ein Umzug von Berlin nach Bad Freienwalde in Brandenburg führt dazu dass ich dort immer maximal die angemessene Miete bekomme. Bei neuer höherer Miete erfolgt also keine Absenkung auf die alte Miete, selbst ohne Notwendigkeit des Umzugs. Ob es hierbei bleibt, geht aus dem Gesetz aus meiner Sicht nicht wirklich hervor, aber es wird auch nicht ausdrücklich „abgeschafft“.
Umzug während der Karenzzeit
Idealumzüge (Notwendigkeit anerkannt und die neue Miete ist angemessen) stellen sowieso kein Problem dar. Folgende Szenarien sind zu beachten:
Beispiele:
- Ein nicht notwendiger Umzug wird so behandelt wie außerhalb der Karenzzeit, also Übernahme maximal der alten Miete bis zur Angemessenheit.
- Bei einem notwendigen Umzug muss ich die schriftliche Zustimmung des Jobcenters einholen. Muss. Schriftlich. Mache ich das nicht, bekomme ich maximal die angemessenen Kosten bewilligt. Das impliziert erfreulicherweise, dass ich im Fall der Zustimmung auch Kosten oberhalb der Angemessenheitsgrenze bekommen kann. Also eine echte Karenzzeitregelung. Allerdings wird abzuwarten, sein, wie oft die Jobcenter so einem Umzug auch rechtzeitig schriftlich zustimmen. Allein Verzögerungstaktik könnte hier dazu führen, dass etliche Mietverträge nicht zustande kommen, weil jemand anders zuschlägt. Die Verschlampung der Zustimmung geht dann zu Lasten der potenziellen MieterIn, indem sie den Vertrag nicht bekommt. Nach Ablauf der Karenzzeit würde hier natürlich ein Kostensenkungsverfahren eingeleitet werden (wie immer nach Ablauf der Karenzzeit). Das mit der Zustimmung ist also ernst zu nehmen. Früher hatte die Frage, ob zugestimmt wurde, keine rechtliche Auswirkung, es kam am Ende immer darauf an, ob Notwendigkeit und Angemessenheit tatsächlich gegeben waren oder nicht.
Unerfreulich ist, dass nach dem Wortlaut hier aber sogar dann eine Absenkung auf die Angemessenheitsgrenze erfolgt, wenn die neue Miete zwar unangemessen teurer ist, aber billiger als die alte. Beispiel: Die Angemessenheitsgrenze liegt für eine BG bei 700 €, die alte Miete kostete 1200 € (ok in der Karenzzeit) und die neue 1100 €. Hier würde es dann nach dem Wortlaut des Gesetzes nach einem Umzug ohne vorherige schriftliche Zustimmung nur noch 700 € geben. Ein Schnäppchen fürs Jobcenter, hätte es doch ohne Umzug bis zum Ende der Karenzzeit weiter 1200 € zahlen müssen und mit Zustimmung zum Umzug immerhin 1100 €. Es entscheidet also im Zweifelsfall durch sein eigenes Arbeitstempo selbst, wie viel es sparen möchte… Im ungünstigsten Fall erlebt man faktisch ein vorzeitiges Ende der einjährigen Karenzzeit.
Generell bestehen bei Umzügen und damit verbundenen Bewilligungen der „angemessenen“ Kosten der Unterkunft immer auch alle Probleme, die weiter oben zu den Heizkosten beschrieben werden. Es kommt also auf die Vertragslage und das zur Verfügung stehende Zahlenwerk an.
Todesfälle
Stirbt ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft und wird die Wohnung dadurch rechnerisch zu teuer, dann wird erst nach Ablauf eines Jahres ein Kostensenkungsverfahren eingeleitet. Auch Außerhalb von normalen Karenzzeiten. Ob sich hier mehrere Karenzzeiten übereinandertürmen, wenn der Tod in der Karenzzeit stattfindet, oder ob das Todeskarenzjahr dann an das andere drangehängt wird, ist im Gesetz nicht ausdrücklich erklärt.
Fazit
Dauer und Auswirkungen der Karenzzeit bei den Kosten der Unterkunft sind in etlichen Punkten auslegbar und werden zu Streit führen.
Die Regeln zur Angemessenheit der Heizkosten sind im Kern des Ansinnens nachvollziehbar, aber die Umsetzung wird mindestens anspruchsvoll sein. Dass man als LeistungsbezieherIn eine vom Jobcenter dann korrekt und umfassend erläuterte Kostensenkungsaufforderung auch verstehen und auf Richtigkeit überprüfen kann, scheint mir eher unwahrscheinlich.
Der Anspruch, dass das Bürgergeld unbürokraktischer und irgendwie auch leichter nachvollziehbar sein soll, pulverisiert sich in diesem Themengebiet vollends selbst.
Die Jobcenter bekommen bei der Zustimmungspflicht zu Umzügen in der Karenzzeit unnötigerweise ein neues Druckmittel in die Hand. Hier wäre der Rechtsanspruch auf eine Entscheidung über die Zustimmung in einem festgelegten Zeitrahmen (zum Beispiel zwei Werktage) das mindeste gewesen, was man hätte einführen müssen.
Wer längere Zeit nicht beim Jobcenter war, sollte nachrechnen, wann ein neuer Antrag gestellt wird. Etwas spätere Antragstellung kann günstig sein, wenn dadurch eine neue Karenzzeit beginnt.
Angesichts der Ähnlichkeit mit der Berliner Variante von vor 18 Jahren (bezogen auf die Bruttokaltmieten), fällt es schwer, das neue Karenzzeitmodell als Innovation zu begreifen.
Foto: Windsor Castle from the Park, Urheber Chaxzakak, Wiki Commons