Über Drohgebärden

Der klassische Drohbrief…

Wir gehen zurück in den Beginn der seit ewigen Monaten währenden Pandemie. Ende März und noch den einen oder anderen Tag im frühen April ergab sich für Soloselbständige in Berlin die Möglichkeit, sehr unbürokratisch eine erste Coronahilfe des Berliner Senats zu bekommen. Zeitgleich wurden auch Coronahilfen des Bundes ausgeschüttet. Ich erinnere mich noch gut daran, wie tagelang besagte Soloselbständige vor ihren Laptops saßen und eine virtuelle Warteschlange beobachteten, die manchmal scheinbar vorwärts kam, manchmal auch stundenlang stehenblieb oder mit dem Feierabend in den Feierabend ging. Irgendwann kam dann der letzte Countdown und man hatte ungefähr eine halbe Stunde Zeit, die Hilfen zu beantragen.

Wer damals schon den Unterschied zwischen den Berliner und den Bundeshilfen erkennen konnte, sah den Hauptunterschied darin, dass die Berliner Hilfen nicht wirklich an konkrete Ausgaben geknüpft waren, sondern im Zweifelsfall auch zur Finanzierung des privaten Teils der Lebensführung von Soloselbständigen verwendet werden durfte. Das war eine für staatliche Hilfen ungewöhnlich großzügige Regelung, die deshalb auch niemand so recht glauben wollte. Man sah, dass die Politik unter einem immensen Handlungsdruck stand, der – egal, was man auch machen würde – auch politische Nachteile hätte mit sich bringen können.

Hätte man kein Geld locker gemacht oder ein zeitintensives Vergabeverfahren beschlossen, wäre der Aufschrei groß gewesen, dass die EinzelunternehmerInnen am ausgestreckten Arm des Senats verhungern. Die dann gewählte Variante, den Massenonlineantrag einzuführen und die Bewilligung lediglich an eine gefühlte Abfolge von „25 mal Ja klicken, dann hab ich das Geld“ zu knüpfen barg andere Risiken. Vor allem das, als Verschwendung von hart erarbeiteten Steuergeldern dargestellt zu werden.

Die Kritik kam auch, aber angesichts der wirklich angespannten Nervenkostüme aller zu der Zeit, war das auszuhalten. Klar war aber auch, dass man wenigstens im Nachgang ein paar Zügel anziehen wollte. Also kamen schnell halbgare Meldungen, dass im Nachhinein sehr wohl genau geprüft werden würde, ob jemand auch wirklich Anspruch auf die Hilfen gehabt hätte, verbunden mit der Aussicht, dass erstens die Finanzämter im Folgejahr schon alles rausbekämen und man bis dahin bitte ernsthaft mit sich ins Gericht gehen möge, ob man nicht doch besser alles zurückzahlt, bevor der Staat einem drauf kommt. Im übrigen wurde dezent darauf hingewiesen, dass man hier durchaus auch lässig straffällig geworden sein konnte.

Spätestens hier war zu unterscheiden. Nämlich zwischen den Bundes- und den Landesmitteln. Um klar zu machen, dass die Landesmittel an deutlich weniger Voraussetzungen geknüpft waren als die Bundesmittel, zeigten Senatsmitglieder, allen voran der Kultursenator Lederer, aus dessen Zuständigkeitsbereich ein großer Teil der Soloselbständigen kommen, Gesicht und machten mit öffentlichen Äußerungen klar, dass die Berliner Landesmittel, wenn es denn finanziell nötig ist, natürlich auch zur Deckung der Kosten der privaten Lebensführung verwendet werden dürfen. Chapeau dafür, in Zeiten der allgemeinen Verunsicherung Sicherheit zu schaffen, ist aller Ehren wert und leider keine Selbstverständlichkeit.

Das Frühjahr ging ins Land, der Sommer war heiß, der Herbst brachte ständig neue Probleme und der Winter ist in Berlin auch ohne Pest schon schwer erträglich. In diesem Winter aber und auch im sich anschließenden Frühjahr preschte nun wieder die Investitionsbank Berlin (IBB) vor und wandte sich mit einem „Belehrungsschreiben“ an die EmpfängerInnen sowohl der Bundes- als auch der Landesmittel. Die IBB ist nämlich zwar eine Berliner Institution, war aber für die Auszahlung sowohl der Landes- als auch der Bundesmittel zuständig. Und das las sich so:

Belehrung
Mit Ihrem Antrag auf den Corona – Zuschuss haben Sie u.a. die folgenden Erklärungen
abgegeben :
Solo – Selbstständige:
 Sie benötigen und verwenden den Zuschuss zur Sicherung Ihrer beruflichen bzw.
betrieblichen Existenz .
 Ursächlich für Ihre derzeitige existenzbedrohende Wirtschaftslage bzw. Ihren
Liquiditätsengpass ist unmittelbar COVID – 19 gewesen, d.h. Ihr Gewerbe ist durch
(Teil – )Schließung, Umsatzeinbußen, fehlende Buchungen oder Aufträge seit dem
11.03.2020 betroffen .
 Ihr Gewerbe sitzt in Berlin und ist bei einem deutschen Finanzamt gemeldet .
 Sie haben die Corona – Soforthilfe – Zuschüsse des Landes bzw. des Bundes nur einmal
beantragt und erhalten (Verbot der Doppelförderung) .
 Ihr Gewerbe litt vor dem 31.12.2019 nicht an Liquiditätsengpässen oder anderen
wirtschaftlichen Schwierigkeiten, was Sie ggfs. durch eine Steuererklärung, Einnahmen –
Überschuss – Rechnung oder Bilanz belegen können .
 Gegen Sie waren in Ihrer Eigenschaft als Selbständige/r zum Zeitpunkt der Antragstellung
keine Zwangsvollstreckungsmaßnahmen anhängig; dies können z.B. Pfändungen von
Konten und Grundbesitz sein .
 Sie haben wahrheitsgemäße Angaben zur Anzahl der von Ihnen Beschäftigten
abgegeben .
 Sie werden die Mittel zweckmäßig verwenden; d.h. einen Zuschussbetrag über 5000 EUR
hinaus nutzen Sie ausschließlich zur Begleichung Ihrer fortlaufenden betrieblichen
Ausgaben. Dies beinhaltet nur den Sach – und Finanzaufwand Ihres Gewerbes wie
gewerbliche Mieten, Pachten, Leasingaufwendungen u.ä.
Kleinstunternehmen:
 Sie benötigen und verwenden den Zuschuss zur Sicherung Ihrer betrieblichen Existenz .
 Ursächlich für Ihre derzeitige existenzbedrohende Wirtschaftslage bzw. Ihren
Liquiditätsengpass ist unmittelbar COVID – 19 gewe sen, d.h. Ihr Unternehmen ist durch
(Teil – )Schließung, Umsatzeinbußen, fehlende Buchungen oder Aufträge seit dem
11.03.2020 betroffen .
 Ihr Unternehmen sitzt in Berlin oder hat in Berlin eine Betriebsstätte und ist bei einem
deutschen Finanzamt gemeldet .
 Sie haben die Corona – Soforthilfe – Zuschüsse des Landes bzw. des Bundes nur einmal
beantragt und erhalten (Verbot der Doppelförderung) .
 Ihr Unternehmen litt vor dem 31.12.2019 nicht an Liquiditätsengpässen oder anderen
wirtschaftlichen Schwierigkeiten, was Sie ggfs. durch eine Einnahmen – Überschuss –
Rechnung oder Bilanz belegen können.

 Gegen Ihr Unternehmen waren zum Zeitpunkt der Antragstellung keine
Zwangsvollstreckungsmaßnahmen anhängig: dies können z.B. Pfändungen von Konten
und Grundbesitz des Unternehmens sein .
 Sie haben wahrheitsgemäße Angaben zur Anzahl der von Ihnen Beschäftigten
abgegeben.
 Sie werden die Mittel zweckmäßig verwenden; d.h. einen Zuschussbetrag über 5000 EUR
hinaus nutzen Sie ausschließlich zur Begleichung Ihrer fortlaufenden betrieblichen
Ausgaben. Dies beinhaltet nur den Sach – und Finanzaufwand Ihres Unternehmens wie
gewerbliche Mieten, Pachten, Leasingaufwendungen u.ä.
Sie werden hiermit nochmals belehrt, dass entscheidungserhebliche Falschangaben im Rahmen
Ihres Antrags auf den Corona – Zuschuss mehrere Straftatbestände erfüllen , die mit Geld – oder
Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren geahndet werden können.
Bitte beachten Sie außerdem, dass seitens des Finanzamts, des Landesrechnungshofs von
Berlin, des Bundesrechnungshofs und/oder der Europäischen Kommission Nachprüfungen über
Beantragung und Erhalt des Corona – Zuschusses erfolgen können und Sie sich gegenüber diesen
öffentlichen Stellen zur Mitwirkung verpflichtet haben.
Sollten Zahlungen aufgrund Ihres Antrags den tatsächlichen Bedarf übersteigen,
Überkompensationen bspw. durch die Wahrnehmung von gesetzlichen Ansprüchen (z.B.
beantragte Entschädigungsleistungen nach Bundesinfektionsschutzgesetz oder Kurzarbeitergeld)
eintreten oder sollten Sie Zuschüsse in Gänze oder in Teilen zu Unrecht erhalten haben, so
überweisen Sie zu Ihrer Entlastung das Geld zurück an die Bankverbindung der IBB bei der
Deutschen Bundesbank:
Investitionsbank Berlin
IBAN: DE77 1011 0400 0010 1104 00
BIC: IBBBDEBB
Als Verwendungszweck schreiben Sie: „Rückläufer “ und den gleichen Verwendungszweck,
welcher in unserer Überweisung verwendet wurde.
Mit freundlichen Grüßen
Investitionsbank Berlin

Ich weiß nicht, wie die Erfahrungen der IBB selbst oder die der Senatsverwaltungen ist. Meine ist die, dass gerade Soloselbständige eine zum Teil groteske innere Ablehnung gegen jegliche Verwaltungsschreiben haben. Wer von ihnen überhaupt diesen Email-Anhang geöffnet hat, wird ihn unter innerem Augenverdrehen, gepaart mit Angstschweiß gelesen haben. Details wie die, dass hier überhaupt nur über Förderungen „über“ 5000 € geschrieben wird, die Senatsmittel aber gar nicht über 5000 € hinausreichten, gehen da schnell mal unter, denn der Ton macht die Musik. In der Folge wurde ich von denen, die nicht sofort den Kopf in den Sand steckten (was im übrigen hier gar nicht mal die schlechteste Reaktion war), mit Anfragen bestürmt, ob man denn jetzt schon mal Zahnbürste und gestreiften Pyjama bereitlegen soll, wenn es ins Gefängnis geht…

Ein klärendes Wort, dass sich die Frage der unsachgemäßen oder gar rechtswidrigen Verwendung der Hilfen auf die Landesmittel in der Regel gar nicht beziehen können, weil ja auch die private Verwendung ausdrücklich gestattet war, hätte hier gleich am Anfang sicher gut getan. Oder auch die Verwendung von verschiedenen Belehrungsschreiben für die einen und die anderen Hilfen. Faktisch hat diese Belehrung wahrscheinlich dazu geführt, dass Menschen, die das gar nicht hätten tun müssen, die Hilfen ganz oder teilweise zurückgezahlt haben. Mir sind einige solcher Fälle zu Ohren gekommen.

Um dem offenbar als mehr oder minder unverblümte Drohung verstandenen Belehrungsschreiben die beängstigende Spitze zu nehmen, wäre es aus meiner Sicht am sinnvollsten gewesen, wenn ein prominenter Politiker, der bei der Bewilligung mit seinem Gesicht gebürgt hat, dass die Verwendung weitgehend frei ist, nun, ein Jahr später, wieder sein Gesicht zeigt und offen sagt: Hier ist nichts zu befürchten, die Verwendung bleibt frei. Deshalb habe ich den Kultursenator angeschrieben und ihn um eine solche öffentliche Stellungnahme gebeten. Weil die Kommunikation über mein Ansinnen dabei im Verlauf einiger Mails einige Höhen und Tiefen erreichte, möchte ich das hier dokumentieren.

Den Anfang machte meine Mail an den Senator am 24. März:

Sehr geehrter Herr Senator und Bürgermeister, lieber Klaus Lederer,
in der Beratung meiner KlientInnen bemerke ich, dass nach einer ersten Welle im Januar nun offenbar eine zweite Welle von IBB-Emails an die BezieherInnen von Coronahilfen des Landes Berlin im vergangenen Frühling herausgeht.
Darin wird in unverhohlen drohendem Tonfall aufgefordert, man möge doch bitte in sich gehen und prüfen, ob einem die Coronahilfen des Landes Berlin auch wirklich zugestanden hätten, denn schließlich seien sie ja ausdrücklich für Betriebsausgaben im Zeitraum von drei Monaten nach Bewilligung gedacht gewesen.
Tatsächlich erinnere ich mich genau, dass unter anderem Sie persönlich vor die Öffentlichkeit getreten sind und dabei gesagt haben, dass die damaligen Hilfen des Landes Berlin eben nicht wie die Bundesmittel nur für Fixkosten der Betriebe zu verwenden sind, sondern auch für private Kosten in der Pandemie verwendet werden können. Die Bewilligung erfolgte damals augenscheinlich unter großem Zeitdruck, auch war allen Beteiligten klar, dass nach wenigen Tagen der Zugang dazu geschlossen werden würde, was auch passierte.
Der Bezug auf genau drei Monate macht darüber hinaus auch keinen wirklichen Sinn, wenn man bedenkt, dass etliche HilfeempfängerInnen danach gar keine oder für lange Zeit keine weiteren Hilfen beantragt haben. In der Lebensrealität der EmpfängerInnen dieser Hilfen des Landes Berlin ist es vielmehr so, dass die damals ausgezahlten Mittel für einen langen Zeitraum ausreichen mussten und zum Teil bis heute ausreichen. Viele damalige EmpfängerInnen haben auch bewusst keine weiteren Hilfen beantragt, weil die 5000 € von damals noch ausreichten oder ausreichen. Die Frage der Sinnhaftigkeit vom Bezug auf betriebliche Ausgaben bei Soloselbständigen ist ja auch in der Gesellschaft mittlerweile dahingehend diskutiert und beantwortet, dass ein solcher Bezug wenig Sinn macht.
Nun ist es so, dass die Mails der IBB die damaligen EmpfängerInnen stark verunsichern, auch wenn darin formal wenig passiert. Man wird ja nicht aufgefordert, nun Mittelnachweise beizubringen oder sich sonst zu rechtfertigen. Aber wenn Sie die Mails mal lesen, werden Sie nicht umhin können zuzustimmen, dass es sich hierbei um Drohmails handelt, insbesondere durch den nicht näher ausgeführten Hinweis auf eventuelle Strafbarkeit.
Da Sie damals im Wortsinn den Kopf hingehalten haben und öffentlich erklärten, dass die Hilfen des Landes Berlin tatsächlich unbürokratisch sind und gemäß der Lebensrealität von Soloselbständigen, vielen KünstlerInnen darunter, eben auch für private finanzielle Engpässe verwendet werden konnten und können, würde ich es begrüßen, wenn Sie heute, da die Drohungen der IBB viele BerlinerInnen verunsichern, nochmal den Kopf hinhalten und öffentlich erklären, dass Ihre Worte von damals noch gelten. Falls es in der Macht des Berliner Senats liegt, wäre eine Weisung an die IBB, eine entsprechende Klarstellung an die bisherigen EmpfängerInnen solcher Emails nachzuschieben, sehr erfreulich.
Ich würde mich freuen, wenn diese leidige Angelegenheit zeitnah klar und öffentlich erledigt werden könnte. Als Senator für Kultur und Bürgermeister sind Sie dafür prädestiniert. Sollten Sie die Sache heute anders werten und nun der Meinung sein, dass die Verwendung für private Engpässe von vornherein und damals klar erkennbar und transparent kommuniziert niemals vorgesehen war, wäre eine dahingehende öffentliche Klarstellung auch hilfreich.
Mit besten Grüßen,
Andreas Wallbaum
Hartzer Roller e.V.
Sozialberatung

Am 31. März antwortete das Büro des Senators:

Sehr geehrte Herr Wallbaum,
Senator Dr. Leder dankt Ihnen für Ihre Information. Er hat mich gebeten, Ihnen zu übermitteln, dass wir auf die IBB zu gehen werden und Klarstellung einfordern werden Die IBB muss explizit erläutern, dass die 5.000 € – Landesmittel, d.h. Zuschüsse aufgrund von Anträgen bis einschließlich Ende März 2020 auch für die private Lebensführung verwendet werden durften.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Andreas Prüfer
Senatsverwaltung für Kultur und Europa
Leiter des Senatorenbüros –

Ich muss gestehen, dass mich diese klare Stellungnahmen sehr erfreut hat, hob sie doch darauf ab, dass das Büro des Senators genau den Punkt verstanden zu haben schien, dass hier eine unmissverständliche Klarstellung mit medial großer Reichweite den Goldstandard der Klärung bedeuten würde. Zumindest deutete die Formulierung „muss explizit erklären“ für mich darauf hin.

Ostern kam und nach den Feiertagen erreichte mich diese Mail:

Sehr geehrte Herr Wallbaum,
die IBB hat Dr. Lederer jetzt geantwortet und erläutert, dass der Inhalt des „Belehrungsschreibens“ einer Vorgabe des Bundes folge.
Es habe bei von mehr als 140.000 Schreiben aber nur etwa 50 Rückfragen zur Verwendung der Unternehmereinkünfte gegeben, die sich i.d.R. unkompliziert telefonisch bzw. durch Verweis auf die FAQ beantworten ließen.
Die IBB versichert, dass sie dafür Sorge tragen werde, etwaige Rückfragen zügig und empfängerorientiert beantworten, um den Mittelempfänger:innen Angst vor unerwünschten – und auch nicht zu erwartenden – Konsequenzen zu nehmen. Auch der Blick in die FAQ zeige, dass die Empfänger:innen i.d.R. keine Veranlassung zur Sorge haben sollten.
Sie können das gern Ihren Klient:innen so mitteilen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Andreas Prüfer
Senatsverwaltung für Kultur und Europa
Leiter des Senatorenbüros –

Ich hatte allerdings schon damals meine Zweifel, ob eine Erklärung der IBB in Wortwahl, Ton und Reichweite an das herankommen würde, was mir mit einem Senatorenwort vorschwebte. Das legte ich am folgenden Tag auch noch mal dem Büro des Senators dar:

Lieber Herr Prüfer,
natürlich kann ich das meinen KundInnen so mitteilen. Allerdings sind wir im Grunde an genau dem Punkt angelangt, von dem aus ich das erste Mal schrieb. Nämlich dem Vorliegen einer unklaren behördlichen Äußerung, die offenbar den Betroffenen ein gerüttelt Maß an Sorge und Unsicherheit beschert. Die Aussage der IBB, dass (dem Sinn nach) hier ein lediglich vom Bund vorgegebenes, aber im Prinzip auf die EmpfängerInnen gar nicht anzuwendendes Schreiben vorliegt, nimmt niemandem diese Sorge und Unsicherheit. Wenn der Bund die Vorgabe macht, solche Schreiben ausdrücklich auch an FörderungsempfängerInnen der Senatshilfen zu senden, dann ist das das Gegenteil von Transparenz. Und der Effekt des Druckmachens bleibt in hohem Maße bestehen. Ich sehe in der Grundhaltung der Einschüchterung im übrigen auch einen Hauptgrund dafür, dass so wenig Rückfragen kamen. Denn machen wir uns nichts vor, im Zweifel werden viele Angeschriebene hier eher „den Kopf in den Sand stecken“ als nachzufragen.
Angesichts der sowieso schon belastenden Situation der Betroffenen ist dies ja zumindest eine vermeidbarere Situation. Vermeidbar eben durch eine öffentliche klärende Stellungnahme des Senators, der hier mit seinem Gesicht dafür einsteht, dass eben kein Anlass zu Befürchtungen besteht.
Ich würde mich freuen, wenn der Senator sich dazu durchringen könnte, in diesem Sinne öffentlich Klarheit herzustellen und damit die aus meiner Sicht seltsam unselbständige Haltung der IBB aus politischer Sicht eindeutig zu bewerten und damit Vertrauen in das Regierungshandeln zu schaffen.
Mit besten Grüßen,
Andreas Wallbaum

Danach verging über eine Woche, in der sich nichts mehr tat. Ich schaute hin und wieder nach der Nachricht, dass der Senator sich vielleicht doch noch äußert, konnte einen solchen Auftritt aber trotz seiner in diesen Tagen fast täglichen medialen Präsenz nicht entdecken. Also entschloss ich mich, nachzufragen, ob da noch was komme. Ich tat das heute mit dieser Email:

Hallo Herr Prüfer,
nachdem sich das Ganze an sich gut anließ, habe in seit Ihrer letzten Stellungnahme leider keine Pressemeldung finden können, nach der sich der Senator nun selbst klärend an die Berliner Öffentlichkeit gewandt hätte, um die Missverständlichkeiten auszuräumen, die weiterhin bei Betroffenen zu Unsicherheit und unangebrachtem Schuldbewusstsein im Zusammenhang mit der vollkommen regelkonformen Nutzung der Berliner Senatshilfen führen. Mag die IBB auch nicht als Adressatin für entsprechende Anfragen gewählt werden (Welches Lamm fragt schon in der Metzgerei, ob heute noch geschlachtet wird…), bei mir reißen die Anfragen dazu nicht wirklich ab.
Gerade weil sich die IBB hier einen schlanken Fuß macht und darauf verweist, dass ja alles nicht so schlimm gemeint ist, aber die öffentliche Klärung vermeidet, tut eine öffentliche Klarstellung des Senats Not.
Ich würde mich also freuen, wenn Sie mir im Laufe des Wochenendes hier Vollzug vermelden könnten, bevor ich Anfang der Woche unseren Emailverkehr veröffentliche.
Mit freundlichen Grüßen,
Andreas Wallbaum

Eine gute halbe Stunde später hatte ich dann diese Antwort im Briefkasten:

Sehr geehrter Herr Wallbaum,
die wenigen Anfragen, die uns hier erreicht haben habe ich alle selbst und zur Zufriedenheit konkret beantwortet. So nahm ich an, dass Sie die Anfragen, die Sie erreichen, mit Verweis auf die Erklärung der IBB, beantworten. Dazu hätten Sie gern den E-Mailverkehr veröffentlichen können, vor allem ff. Erklärung:
„Die IBB versichert, dass sie dafür Sorge tragen werde, etwaige Rückfragen zügig und empfängerorientiert beantworten, um den Mittelempfänger:innen Angst vor unerwünschten – und auch nicht zu erwartenden – Konsequenzen zu nehmen. Auch der Blick in die FAQ zeige, dass die Empfänger:innen i.d.R. keine Veranlassung zur Sorge haben sollten.“
Auch die IBB hat i.Ü. hinreichende Erklärungen veröffentlicht. Unter „Informationen zum Belehrungsschreiben“ wird zum einen klar auf die Bundesprogramme (9.000 / 15.000 €) verwiesen, um die es geht. Es findet sich hier aber auch der Hinweis, dass bei der anfangs verbundenen Landesförderung in Höhe von 5.000 EUR, auch Personalkosten und persönliche Lebenshaltungskosten für Solo-Selbstständige, Freiberufler und Kleinstunternehmen mit bis zu 5 Beschäftigten abgedeckt waren. (Zitat: „Vom Landeszuschuss (Antrag bis zum 01.04.2020 – 5.000 EUR) konnten neben den laufenden betrieblichen Sach- und Finanzaufwendungen auch Personalkosten, Kosten der privaten Lebensführung und Krankenversicherungskosten bezahlt werden.“)
Genauso wenig, wie die IBB eine Metzgerei ist, werde ich Ihnen „Vollzug melden“. Ich wüsste nicht aus welchem Unterstellungsverhältnis heraus.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Andreas Prüfer
Senatsverwaltung für Kultur und Europa
Leiter des Senatorenbüros –

Zunächst will ich an dieser Stelle in bester Kanzlerinnenmanier dazu stehen, dass ich in der Formulierung „Vollzug melden“ einen Tonfall gewählt habe, der ohne jeden Grund verschärfend wirken musste oder zumindest wahrscheinlich so ankommen würde. Das war falsch und ich bitte Dr. Prüfer hierin um Entschuldigung, denn ein Fehler sollte als solcher benannt und auch korrigiert werden. Dies umso mehr als ich weiter oben feststellte, dass „der Ton die Musik macht“. Die von mir gewählte Metapher der Metzgerei muss ich leider so stehen lassen, weil ich genau dieses Bild in bewusst überspitzender Weise verwenden wollte. Wobei wir wieder beim eigentlich Gegenstand der Auseinandersetzung wären. Nämlich dem Faktor „Wirkung“.

Wenn der Senator anfänglich klar sagt, dass in Bezug auf die Belehrungsschreiben etwas unmissverständlich klarzustellen ist, wie kann die Notwendigkeit dieser Klarstellung nun auf einmal ausreichend durch eine im Internet aufrufbare endlose FAQ-Seite der IBB obsolet geworden sein? Umso mehr als ich mich ja überhaupt nur an den Senator gewendet habe, weil offenbar niemand diese Seite liest. Es ging auch ganz ausdrücklich niemals darum, dass die IBB etwas illegales macht, sondern darum, dass unzähligen Soloselbständigen der Eindruck vermittelt wird, sie stünden womöglich schon mit einem Bein im Knast, weil sie das Geld genommen haben. Hätte der Senator eine solch technokratische Auffassung gehabt, dann hätte seine erste Reaktion auf mein Ansinnen niemals so klar zustimmend sein können.

Und zum Faktor Wirkung gehört eben auch, dass eine Stellungnahme des Senators mehr Reichweite hat als der Verweis darauf, dass man in Einzel-Antwort-Mails ja alles richtigstellen könne.

Fürs Protokoll sei hier dokumentiert, dass die IBB im Übrigen tatsächlich in den FAQ zur Coronahilfe an einer Stelle folgendes erklärt:

Wofür kann ich den Corona Zuschuss verwenden?
Die Soforthilfe Corona leistet einen Beitrag zu den laufenden betrieblichen Sach- und Finanzaufwendungen bezogen auf die 3 der Antragstellung folgenden Monate. Darunter fallen z.B.:
Miet- und Nebenkosten sowie Pachtzahlungen für gewerblich genutzte Räume
gewerbliche Versicherungsbeiträge
Kredite und Leasingraten für gewerblich genutzte Güter und Einrichtungen (sofern keine Stundung gewährt wurde)
KFZ-Leasingkosten und Wartung (sofern das Fahrzeug für die wirtschaftliche Tätigkeit notwendig ist)
geschäftliche Telekommunikationskosten
laufende Kosten/Gebühren für Provider, Domaine(s), Webspaces etc. sowie Wartungskosten
Wartungskosten für Betriebs- und Geschäftsausstattung
Kosten für Marketing
Personalkosten, entgangene Umsätze, Unternehmerlohn sowie private Lebenshaltungskosten sind aus Bundesmitteln nicht abgedeckt.
Vom Landeszuschuss (Antrag bis zum 01.04.2020 – 5.000 EUR) konnten neben den laufenden betrieblichen Sach- und Finanzaufwendungen auch Personalkosten, Kosten der privaten Lebensführung und Krankenversicherungskosten bezahlt werden.
Bitte nutzen Sie zunächst Möglichkeiten wie Stundung von Steuerzahlungen oder Stundungen von Krediten.

Ich frage mich also, was letztendlich die einfachste Lösung, nämlich ein kurzes öffentliches Statement, in dem man einerseits erläutert, dass die IBB solche Schreiben eben losschicken muss, dass aber andererseits keine Soloselbständige sich Sorgen machen muss, weil das Geld für Miete oder Essen draufgegangen ist, verhindert hat.

Es wäre so einfach gewesen…

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